19. September 2019

„Gute Hoffnung – jähes Ende“

Claudia Heinkel, Leiterin der PUA-Fachstelle der Diakonie, beim Fachtag.

Fachforum zum Verlust eines Kindes in der Schwangerschaft

Beim interprofessionellen Fachforum „Gute Hoffnung – jähes Ende. Wenn Geburt und Tod zusammenfallen“ haben sich schwangerschaftsbegleitende Berufsgruppen und andere interessierte Fachkräfte ausgetauscht.

Die Kooperationsveranstaltung des Diakonischen Werks Württemberg mit demHospitalhof Stuttgart war schnell ausgebucht. Schwangerschaftsberaterinnen, Hebammen, Klinikseelsorgerinnen, Vertreterinnen der Selbsthilfe, Pflegefachkräfte, Ärzte und psychosoziale Betreuungsdienste in den Kliniken bis hin zu einer Trauerbegleiterin und Bestatterinnen waren der Einladung in den Hospitalhof gefolgt, teilweise hatten sie lange Anfahrtswege auf sich genommen. „Die große Nachfrage zeigt, dass der Austausch über die Berufsgruppen hinweg als bereichernd erlebt wird und wie sehr die verschiedenen Professionen gerade dieses Thema beschäftigt“, sagt Claudia Heinkel, Leiterin der PUA-Fachstelle der Diakonie. So vielfältig wie das Publikum war auch die Expertise, die die Mitwirkenden in ihren Beiträgen einbrachten:

Die Hebamme Andrea Hadwiger bietet seit zehn Jahren Rückbildungskurse speziell für Frauen an, die ihr Kind verloren haben. „Die Kurse geben den Frauen einen geschützten Raum, in dem die verwirrenden Empfindungen im Körper ihren Platz haben, in dem Trauer und Schmerz, Gefühle der Überforderung, Wut, Neid oder Angst ausgesprochen werden können – vor anderen, die in einer ähnlichen Situation sind. In diesen Kursen entsteht schnell ein großes Mitfühlen und eine große Solidarität untereinander.“ Die Frauen bräuchten keine Rücksichtnahme, sondern Menschen, die sie in ihrer Trauer aushalten. Ihre Kollegin Christa Spitzner, Gründerin des Geburtshauses in Tübingen, berichtete, wie Hebammen die Frauen auf ihrem jeweiligen Weg des Umgangs mit diesem Verlust begleiteten und unterstützten. Auch Frauen nach einer Fehl- oder Totgeburt hätten einen Anspruch auf eine Hebammenversorgung.

Prof. Dr Harald Abele, stellvertretender Ärztlicher Direktor Geburtshilfe und Leiter des Perinatalzentrums an der Universitätsklinik Tübingen, stellte das Betreuungskonzept an der Uniklinik beim Verlust eines Kindes in der (fortgeschrittenen) Schwangerschaft vor. Eines der Qualitätsmerkmale dieses Konzeptes sei die frühzeitige und systematische Einbindung der verschiedenen Professionen in die Betreuung der Frauen und ihrer Partner, einschließlich der seelsorgerlichen und psychosozialen Dienste und damit auch die Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen.

Beatrix Schubert, Klinikseelsorgerin in der Frauenklinik und Neonatologie an der Uniklinik Tübingen, berichtete über ihre Zusammenarbeit mit den medizinischen Fachdiensten in den Betreuungssituationen: in der Pränataldiagnostik-Ambulanz, beim stationären Aufenthalt etwa bei einer „stillen Geburt“, beim Abschied vom Kind in einer Segensfeier in der Klinik bis hin zur zweimal jährlich stattfindenden Trauerfeier und der Bestattung der Kleinsten auf dem Friedhof. Sie sagt: „Interprofessionelle Zusammenarbeit muss gewollt, gezielt, verabredet und unter allen Beteiligten bekannt sein.“

Informations- und Anlaufstelle für Familien mit einem lebensverkürzend erkrankten Kind ist die Landesstelle Baden-Württemberg Palliative Care für Kinder und Jugendliche am Hospiz Stuttgart. Deren Leiterin Anna Lammer erklärte, Palliativ Care für Kinder und Jugendliche konzentriere sich nicht nur auf die Betreuung in den letzten Lebensmonaten oder -tagen, vielmehr setze die Unterstützung für das Kind und seine Familie viel früher an und ende nicht mit dem Tod des Kindes. Neuestes Angebot der Landesstelle sei ein Wegbegleiter in Form eines Podcasts für Eltern mit einem schwerkranken Kind, in dem diese selbst zu Wort kommen – es habe sich in kurzer Zeit zu einem „akustischen Renner“ entwickelt.

Aus der Perspektive einer Betroffenen berichtete Rebekka Bosler, Mitglied in der Selbsthilfegruppe „Initiative Regenbogen – Glücklose Schwangerschaft und dort zuständig für die Vermittlung von Kontakten zu betroffenen Frauen und Familien“.Sie selbst hat drei ihrer sechs Kinder in der Schwangerschaft verloren und sagt: „Sie sind in meinem Herzen.“ Sie konnte aus ihrem Erleben heraus den Fachkräften erklären, was Frauen und Paare in der Situation bräuchten en und welche Sätze und Ratschläge sie zusätzlich verletzten.

Michaela Müller leitet das stationäre Kinder- und Jugendhospiz in Stuttgart. Es bietet den Eltern einen Ort zum Auftanken und zur Entlastung, nicht nur in der letzten Lebensphase des Kindes. Auch die Trauerbegleitung der Eltern und der Geschwister nach dem Tod des Kindes gehört zu den Aufgaben. Der Impuls zum Thema ihres Vortrags „Wie trauern Kinder um ein verlorenes Geschwisterkind?“ kam aus der Beratung der Pua-Fachstelle: Claudia Heinkel erlebt immer wieder, wie sehr sich Eltern beim frühen Verlust in der Schwangerschaft mit der Frage beschäftigen, ob und wie sie es den Geschwisterkindern sagen könnten, die sich auf Schwester oder Bruder freuten. Michaela Müller verband entwicklungspsychologische Informationen über die Vorstellungswelten der Kinder mit ihren Erfahrungen aus der Arbeit mit schwerkranken und sterbenden Kindern. „Wie Kinder in Pfützen rein und wieder hinaus hüpfen, so hüpfen sie auch in die Trauer rein und raus“. Wichtig sei zu wissen, dass kleine Kinder ein magisches Weltverständnis hätten. Sie könnten daher auch Schuldgefühle gegenüber einem verstorbenen Geschwisterkind entwickeln, weil sie es sich einmal weggewünscht hatten, ohne dass sie das in Worte fassen könnten. Sie ermutigte dazu, mit Kindern in altersangemessener Weise über Sterben und Tod eines Geschwisterkindes zu sprechen und sie dabei zu unterstützen, dass sie sich von Bruder oder Schwester verabschieden können.

In einem von ihr moderierten Rundgespräch nannte Claudia Heinkel Schwangerschaftsberatungsstellen „wichtige Knotenpunkte im interdisziplinären Netzwerk der Begleitung und Betreuung“. Zum Auftrag einer Schwangerschaftsberatungsstelle gehöre auch die Beratung von Eltern bei einem Verlust des Kindes, in der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Dorit Nestler aus Aalen berichtete von einer Frau, die Zwillinge erwartete, einer der Zwillinge hatte die Diagnose „nicht lebensfähig“ erhalten. In der Beratung hatte sie den Raum, um das kaum Erträgliche zu betrauern, dass sie sich zugleich auf die Geburt und den Tod eines ihrer Kinder vorbereiten musste. Cornelia Hähnlein aus Heilbronn beschrieb die besondere Not der ungewollt kinderlosen Paare, für die die Schwangerschaft schon ein oft lange ersehntes Ziel sei und in welche Abgründe sie stürzten, wenn diese immer wieder in einer Fehl- oder Totgeburt ende.Susanne Demtschück aus Reutlingen berichtete über die Begleitung einer Gruppe von Frauen und ihren Partnern, die ein Kind verloren hatten und einen Ort suchten, an dem sie mit anderen darüber sprechen, weinen und trauern konnten, ohne sich erklären zu müssen, an dem sie über ihre Schuldgefühle sprechen konnten, über ihre Angst vor bzw. in den Folgeschwangerschaften oder auch über die unterschiedlichen Formen der Trauer der Frauen und der Männer. Eine Tagungsteilnehmerin meinte hinterher: „Ich wusste nicht, dass und wie intensiv Schwangerschaftsberatungsstellen Frauen auch in diesen Verlust- und Trauersituationen begleiten. Da ist fast das Wichtigste, das ich für meine Arbeit in der Klinik aus der Tagung mitnehme.“

Am Ende der Tagung gab es mit Tina Brenneisen, Comiczeichnerin und Karikaturistin aus Berlin, einen Überraschungsgast. Im Gespräch mit Monika Renninger, Leiterin des Hospitalhofs, stellte sie ihre gerade erschienene Publikation vor. Unter dem Titel „Das Licht, das Schatten leert“ verarbeitet sie darin in sprachlich eindrücklicher und bildgewaltiger Weise die Totgeburt ihres Sohnes. Dafür erhielt sie 2017 den Comicpreis der Berthold Leibinger Stiftung.

Mit Segensworten einer Frau, die um ihr Kind trauert, verabschiedete Claudia Heinkel die Teilnehmerinnen dieses Fachforums. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen ermutigen zur Fortführung dieses Veranstaltungsformats eines interprofessionellen Fachforums auch im kommenden Jahr.


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    Programm Fachforum

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    Vortrag Andrea Hadwiger

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    Präsentation Christa Spitzner

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    Präsentation Beatrix Schubert

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    Palliative Care für Kinder und Jugendliche

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    Podcast Wegbegleiter

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    Vortrag Michaela Müller

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    Segenswort

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Hinweis: Der Beitrag von Prof. Harald Abele kann angefordert werden unter heinkel.c(at)diakonie-wue.de